Interview • 05.05.2014

"Die Logistik ist beim Online-Lebensmittelhandel entscheidend"

Interview mit Dr. Bernhard Albert, Foresight Solutions

Dr. Bernhard Albert: Handel und Logistik befassen sich derzeit intensiv mit der...
Dr. Bernhard Albert: 'Handel und Logistik befassen sich derzeit intensiv mit der Suche nach Lösungen'.
Quelle: Foresight Solutions

Die Geschichte des eCommerce ist eine Erfolgsgeschichte. Immer mehr Produkte werden online gekauft. Ein Bereich, in dem sich der Onlinehandel jedoch bislang nicht durchsetzen konnte, ist der Lebensmittelhandel. Dr. Bernhard Albert vom Zukunftsforschungsinstitut Foresight Solutions begleitet Unternehmen bei Innovations- und Strategieprozessen. Im aktuellen Interview spricht er über die Zukunftsaussichten des Online-Lebensmittelhandels.

Herr Dr. Albert, welche speziellen Herausforderungen stellt der Online-Lebensmittelhandel an die Logistiker?

Ganz gleich, aus welcher Perspektive man es betrachtet, aus der des Handels, der Logistik oder des Kunden, die Logistik entscheidet über die Zukunft des Online-Verkaufs von Lebensmitteln. Drei zentrale Herausforderungen prägen die Entwicklung: Regulierungen im Bereich der Lebensmittelsicherheit, von Produzenten und Handel erwartete Mehrwertdienstleistungen und der Übergabepunkt am Ende der letzten Meile.

Mit der Ausweitung des Online-Verkaufs von Lebensmitteln werden Logistikdienstleister immer häufiger nicht nur mit fertig verpackten und palettierten Lebensmitteln konfrontiert, sondern mit der Anforderung selbst Lebensmittel zu lagern oder zu konfektionieren. Dafür müssen Gebäude, Fahrzeuge, Lademittel und Mitarbeiter den Anforderungen des Lebensmittelrechts genügen. Erwartet wird eine lückenlose Überwachung und Dokumentation von Liefer- und Kühlketten. Denken Sie an die Todesfälle ausgelöst durch mit Darmbakterien verunreinigte Keimsprossen. Verlader und LKW gerieten mit als Erste in Verdacht. Erfreulicherweise wird es künftig einfacher, die Anforderungen zu erfüllen. Das liegt zum einen an innovativer Sensortechnik und verbesserter Sendungsverfolgung und zum anderen an immer ausgereifteren Schutzfunktionen der Verpackungen.

Eine größere Herausforderung bilden die damit verbundenen Kundenanforderungen an der Schnittstelle zwischen Produktion und Transport. Die Logistik wird zum verlängerten Arm der Produktion. Niemand würde z.B. Wein in Flaschen in wirklich großen Mengen über die Autobahnen oder die Weltmeere fahren. Der kommt in Flexitanks und wird erst später in Abfüllbetrieben auf Flaschen gezogen. Ähnliches gilt für eine Vielzahl von Produkten. Einfacher und vielfach wirtschaftlicher wäre es, wenn Logistiker diese Mehrwertdienste selbst realisieren oder an ihren Standorten anbieten. So erhöhen sie den Nutzen und verbessern die Margen. Das Marktfeld ist hoch dynamisch und bietet noch viel Raum für intelligente Lösungen.

Eine weitere Option liegt in der Konfektionierung der Waren für Endkunden. Schauen Sie sich den üblichen Einkaufswagen an. Dort liegen haltbare und frische Lebensmittel beieinander, kombiniert mit den unterschiedlichsten Haushaltsartikeln. Auch in Zukunft wird der Einkäufer seine Haushaltseinkäufe nicht splitten. Mit der Entwicklung der Supermärkte wurde der Kunde zum Picker, der seinen Warenkorb selbst zusammenstellt. Im Online-Handel übernehmen das Maschinen und Mitarbeiter. Doch was die Kunden im Supermarkt dürfen, dürfen Online-Händler und Logistiker noch lange nicht. Die unterschiedlichen Produkte gehören in getrennte Kartons und müssen bis zum Übergabepunkt unterschiedlich behandelt werden.

Wie unterscheiden sich diese von der Logistik für den eCommerce in anderen Produktkategorien?

In weiten Bereichen unterscheidet er sich kaum. Haltbare Lebensmittel beispielsweise werden wie jedes andere Paket von KEP-Dienstleistern ausgeliefert. Hauptunterschiede sind der rechtliche Rahmen und die Anforderungen an die Mitarbeiter. Hinzu kommen bei empfindlichen, frischen und tiefgefrorenen Waren das Handling, spezielle Formen der Lagerung, spezielle Fahrzeuge, ein schneller Umschlag und Transport sowie geeignete Lieferkonzepte.

Kein Mensch will Fleisch aus Italien oder Käse aus Frankreich, die einen Tag zu lang auf der Straße waren oder in der Halle standen, weil ein Fahrer ausfiel oder der Endkunde nicht zuhause war. Die aktuelle Praxis einiger Versender wird keinen Bestand haben, da sie weder den Qualitätsanforderungen des Kunden noch der Lebensmittelsicherheit genügt.

Welche Voraussetzungen muss die Logistik schaffen, damit der Online-Lebensmittelhandel sich erfolgreich durchsetzen kann?

Betrachtet man die Lieferketten im Lebensmittelhandel heute, funktionieren sie trotz globaler Transportwege und hoher Anforderungen völlig einwandfrei, von den Agrarproduzenten in allen Ländern dieser Welt, über die globalen Lebensmittelindustrien bis zum Handel. JederLadevorgang, alle verwendeten Transportmittel, jede Schwankung von Temperatur oder Feuchtigkeit und selbst ein unautorisiertes Öffnen des Laderaums oder der Umverpackung können erfasst werden.

Wirklich heikel wird es allein auf der letzten Meile. Was fehlt, sind Ablagepunkte, an denen die Waren mindestens so gut aufgehoben sind, wie im Supermarkt. Viel zu häufig verfehlen sich Logistiker und Empfänger aufgrund beruflicher und familiärerAnforderungen und der Widrigkeiten des Verkehrs. Das wird sich mit der fortschreitenden Alterung der Gesellschaften allenfalls geringfügig verbessern. In einer ansonsten sehr optimistischen Studie von Ernst & Young spricht genau das für rund drei Viertel der Befragten gegen die Online-Bestellung von Lebensmitteln.

Handel und Logistik befassen sich derzeit intensiv mit der Suche nach Lösungen. Doch keiner wird ernstlich erwarten, dass in Zukunft fliegende Drohnen heiße Gerichte und Speiseeis liefern oder dass sämtliche Haushalte mit intelligenten Briefkästen oder Paketboxen ausgestattet sind, die Obst- und Gemüse, Tiefkühlprodukte, Nudeln und Konserven fachgerecht verwahren. Wer praktikable und effiziente Konzepte für die Übergabe vorlegt, wird das Rennen machen.

Auch wenn viele sich vorstellen können, haltbare Lebensmittel im Internet zu kaufen und dafür einen Aufschlag von 10-15 Prozent in Kauf zu nehmen, wollen rund 80 Prozent der Kunden frische Lebensmittel beim Empfang kontrollieren können, so eine aktuelle Studie von ATKearney. Dann geht die Bestellung wegen eines schlappen Salats oder einer angestoßenen Gurke zurück zum Händler. Der ökonomische Schaden ist groß, schon der Rücktransport frisst die Margen auf. Gleiches gilt für den persönlichen Schaden für den Kunden, der nicht weitere Tage auf benötigte Lebensmittel warten möchte. SolangeFrischeprodukte und Tiefkühlware weiterhin stationär gekauft werden, werden Reis und Nudeln nicht im Internet bestellt.

Wie schätzen Sie die Entwicklung in diesem Bereich in den nächsten Jahren ein? Wird sich der Lebensmitteleinkauf über das Internet im selben Bereich bewegen wie der Online-Handel in anderen Produktkategorien, was den Marktanteil angeht?

Die Situation des stationären Lebensmittelhandels wird sich zunehmend verschlechtern. Schon heute ist der Wettkampf hart und die Konzepte, die den Lebensmitteleinkauf zum Erlebnis machen sollen, nur bedingt erfolgreich. Menschen wollen sich mit hohem Genuss ernähren, verzichten aber gerne auf den aufwendigen Einkauf. Gelungene Beispiele mit nur geringen Effekten für die Logistik sind Abo-Kisten für Obst und Gemüse und filialbasierte „Click-and-Collect“-Services, die die Kontrolle bei Abholung oder Empfang erlauben.

Erst wenn Handel und Logistik Liefer- oder Abhollösungen präsentieren, die sicherstellen, dass Lebensmittel den Kunden frisch, appetitlich und gesund erreichen, wird der Online-Handel für Lebensmittel zulegen. Ohne diese bleibt er ein Nischenmarkt für Delikatessen und Spirituosen.

Zweite grundlegende Voraussetzung ist, dass die schmalen Margen des Handels nicht durch eine teure Logistik aufgefressen werden und das die Logistik keine Teile ihrer ohnehin schmalen Margen an den Online-Handel abtreten muss. Einen durch den stationären Handel und die Logistik subventionierter Online-Handel mit Lebensmitteln, wie wir ihn aus Großbritannien kennen, kann und sollte sich keiner leisten, der im Markt überleben möchte.

Wo nichts verdient wird, ist kein Markt – und wer sich zu früh verausgabt, dem geht auf den entscheidenden Metern die Luft aus. Aktuell sollten Logistiker und Händler sich mit zukunftsorientierten Analysen auf den eigenen Markteintritt vorbereiten, die eigene Wunschposition bestimmen, vielversprechende Konzepte entwickeln und den richtigen Einstiegszeitpunkt wählen.

Interview: Daniel Stöter, iXtenso.com

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