Interview • 04.11.2013

Sicherheit kann und muss man lernen

iXtenso-Interview mir Dr. Arno Weber, Vorstand im Bereich Aus- und Weiterbildung beim Verband Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI)

Dr. Arno Weber: Arbeit muss langfristig so gestaltet werden, dass die...
Dr. Arno Weber: 'Arbeit muss langfristig so gestaltet werden, dass die Mitarbeiter gesund bleiben und bei der Arbeit auch im Alter noch bestmöglich unterstützt werden.'
Quelle: VDSI

Sicherheit ist wichtig. Sicherheit geht jeden an – sowohl Chefs als auch Mitarbeiter. Im iXtenso-Interview spricht Dr. Arno Weber, Vorstand im Bereich Aus- und Weiterbildung beim Verband Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI), über Arbeitsschutz im Einzelhandel und wie Unternehmen die Gesundheit der eigenen Mitarbeiter langfristig sichern können.

Herr Dr. Weber,wie sicher ist der Handel heute?


Momentan stellen wir fest, dass die Unfallzahlen weiterhin sinken. Lag bei der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution 1995 die 1000-Mann-Quote (meldepflichtie Arbeitsunfälle pro 1000 Vollarbeitern, Anmerkung der Redaktion) noch 35,8, so sank die Zahl inzwischen auf 24,7 im Jahr 2012.Ein schönes Ergebnis ist auch, dass die tödlichen Unfälle sich im Einzelhandel (ohne KFZ-Handel) von zehn in 2007 auf zwei in 2011 reduziert haben.

Ähnlich ist es mit den anerkannten Berufskrankheiten. Die Verdachtsanzeigen bei der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution sind von rund 4.900 auf 3.800 gefallen. Und die im Anschluss auch bestätigten Verdachtsanzeigen sanken bis 2012 von rund 580 auf 480. Ein Fünftel dieser anerkannten Verdachtsanzeigen waren hierbei im Einzelhandel selbst.

Und wo passieren die meisten Unfälle?

Eine sehr schöne Einzelaufschlüsselung hierfür habe ich noch aus 2008, bevor die Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel mit der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft fusionierte. Der größte Gefahrenherd im Handel sind die Fußböden: Unfälle durch Stolpern, Stürzen und Ausrutschen machten 15 Prozent aus. Danach kommen Unfälle mit Messern mit zwölf Prozent. Verletzungen durch Behälter, Flaschen und Container machen sieben Prozent aus und Unfälle an und durch Treppen lagen bei fünf Prozent.Relativ klein, aber verhängnisvoll, sind die Unfallzahlen im Bereich Leitern. Hierzu zählen zwar nur zwei Prozent der Arbeitsunfälle, diese gehen aber mit schweren Verletzungen einher und führen häufig zur Frühberentung.

Was ist die Ursache und wie kann und muss man dem entgegenwirken?

Hier spielen mehrere Faktoren zusammen. Gerade im Bereich Fußböden sind die Ursachen vielfältig: Auf der einen Seite gibt es Ursachen wie Stolperkanten, Nässe oder Hindernisse.Auf der anderen Seite gibt es Aspekte im Arbeitsalltag, die Unfälle fördern: Falsches Schuhwerk mit geringer Rutschfestigkeit ist beispielsweise ein Risikofaktor. Wenn es keinem repräsentativen Zweck dient, ist es immer empfehlenswert, Schuhe mit guter Bodenhaftung zu tragen.

Eine andere Gefahrenquelle ist die eigene Überbelastung. Wenn ein Mitarbeiter so viele Kartons trägt, dass er nichts mehr sieht, steigt das Sturzrisiko enorm. Gerade das Führungspersonal sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und Mitarbeiter auf eine sichere Arbeitsweise aufmerksam machen oder beispielsweise sicheres Schuhwerk vorschreiben.

Man kann natürlich schon bei der Gebäudeplanung und -einrichtung einenrutschhemmenden Bodenbelag anschaffen. Darüber hinaus müssen die richtigen Reinigungsanweisungen kommuniziert werden, damit gerade die verbesserte Bodenhaftung langfristig erhalten bleibt. Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind die richtigen Ansprechpartner, wenn es darum geht, den Arbeitsplatz für die Mitarbeiter sicher zu gestalten.

Es gibt immer mehr Technik, die die Arbeit erleichtern soll. Welche Besonderheiten sind arbeitsschutztechnisch zu beachten?

Die neuen Technologien erleichtern die Arbeit im Handel bereits enorm. Sicherheitsmesser verhindern Schnittunfälle und dank Scannerkassen und Warenlaufbändern ist Kassieren körperlich weniger anstrengend. Dennoch ist die Arbeit an der Kasse sehr einseitig. Hier muss weiterhin auf eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und Wechseltätigkeit geachtet werden.

Eine andere Sache ist die Frischetheke: Der Kunde muss die Waren einerseits gut einsehen können. Der Mitarbeiter muss sie allerdings auch einfach und rückenschonend entnehmen können. Hier hilft es, die Theken etwas steiler zu bauen: Das beeinträchtigt die Sicht nicht, ist aber für das Personal rückenfreundlicher.

Die aktuelle Kampagne „Denk an mich, dein Rücken!“ der Unfallversicherungsträger ist im Arbeitsschutz schon lange ein Thema. Trotz der wachsenden Technisierung und verbesserter Transport- und Lastaufnahmemittel dürfen wir aber nicht vergessen, dass viele Arbeiten dennoch auf den Rücken gehen. Die Kampagne sensibilisiert für das Thema und stellt einfache Medien zur Verfügung, mit denen jeder lernen kann, rückenschonend zu arbeiten und für einen guten Ausgleich zu sorgen.

Welche psychischen Belastungen gibt es heutzutage und wie kann ein Arbeitgeber die psychische Gesundheit fördern?

In allererster Linie müssen Arbeitgeber sich dieses Problems bewusst sein! Gerade durch die Insolvenzereignisse der letzten Jahre ist auch im Einzelhandel die Unsicherheit über den eigenen Arbeitsplatz und damit die finanziell gesicherte Existenz gewachsen. Dazu kommen gestiegener Leistungs- und Zeitdruck und das gegebenenfalls angespannte Arbeitsklima.Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Mitarbeiter weder über- noch unterfordert werden dürfen – zumindest nicht dauerhaft. Hier besteht auch ein Zusammenhang zu Rückenerkrankungen. Das ist die psycho-soziale Komponente, dass emotional überforderte Mitarbeiter auch körperlich krank werden können.

Hier ist es wichtig, dass Führungskräfte keinen künstlichen Druck auf ihre Arbeitnehmer ausüben und sie so verunsichern. Selbstreflexion über den Umgang mit den Mitarbeitern ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Mitarbeiter, die sich schlecht behandelt fühlen, arbeiten unmotivierter und somit weniger effizient.

Welche Trends erwarten Sie im Arbeitsschutz der Zukunft?

Arbeit muss langfristig so gestaltet werden, dass die Mitarbeiter gesund bleiben und bei der Arbeit auch im Alter noch bestmöglich unterstützt werden. Im Gegenzug müssen Unternehmen auch für junge Arbeitnehmer attraktiv bleiben. Gesundheitsfördernde Maßnahmen für Jung und Alt sind daher ein guter Weg: Gesundheitstage, ein Physiotherapeut oder Ergonomieberater können hier Hilfestellungen geben.

Die neuen Medien bergen neben ihrem Nutzen auch viele Risiken. Mobiler Zugriff auf den dienstlichen E-Mail-Account, Telefonate nach Feierabend: Die wachsende Erreichbarkeit führt auch dazu, dass man nie richtig abschaltet. So werden in manchen Unternehmen nach Dienstschluss einfach keine E-Mails mehr an die Mobiltelefone der Mitarbeiter weitergeleitet. Dann entsteht ein richtiger Feierabend.

Ich denke, dass der Trend allgemein hin zu einer „Sicherheitskultur“ gehen könnte. Hierbei geht es darum, nicht nur die Technik zu verbessern. Es bedeutet vielmehr, beständig den Ist-Zustand zu kontrollieren und zu reflektieren und die Mitarbeiter im richtigen Umgang mit Arbeit, Arbeitsumgebung und der eigenen Gesundheit zu schulen.

Das Interview führte Elisabeth Henning; iXtenso.com

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